20101125

Werner Otto Sirch: Siehe ich mache alles neu

21.11.2011 - Ewigkeitssonntag
Predigt Offenbarung 21, 1-7

1 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. 2 Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. 3 Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; 4 und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. 5 Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss!
6 Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. 7 Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein.


Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder,

Ich glaube ...
„Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben.“ Glauben Sie das? Die Auferstehung der Toten?

Ja, in Form der Wiedergeburt, sagen die einen. In unseren Erinnerungen, sagen die anderen. Die ganz Frommen sagen: bei Gott oder zu Gott. Heimgegangen. In Traueranzeigen, in Reden oder Predigten, die bei solchen Anlässen gehalten werden und auf Trauerkarten können wir erfahren, welches Bild wir vom Tod haben und dem was danach kommt.

Viele von Ihnen sind heute hier, weil sie im vergangenen Jahr einen Menschen hergeben mussten, weil sie das Vergehen eines Menschen miterlebt haben, weil sie ihn vermissen und ihr Herz voller Trauer ist. Es ist schwer zu begreifen, irgendwie unfassbar dass ein Mensch durch den Tod von uns gegangen ist. Für immer. Das „nie wieder“ macht uns traurig und erfüllt unser Herz mit Schmerz.

Wir machen uns Gedanken darüber wo unsere Toten jetzt sind. Die einen können im Glauben festhalten, dass jeder einzelne Mensch über den Tod hinaus als unverwechselbares Geschöpf bewahrt bleibt. Das klingt gut. Aber kommt es wirklich gegen die Zweifel an? Egal, wie ich es mir zurechtdenke und zurechtglaube. Es bleibt was offen. Wie soll die Auferstehung denn aussehen?

Unvergessen

Wenn wir über den Friedhof gehen, können wir auf manchen verwilderten Gräbern lesen: „Unvergessen“. Ja, wir möchten unsere Toten bewahrt wissen. „Pass du auf sie auf, guter Gott.“ Wir möchten sie bei uns bewahren, in unserm Herzen, in den Fotografien, in den Lieblingsliedern und sonstigen Erinnerungen. Manche lassen sich Amulette machen, in denen sich Asche des geliebten Menschen befindet. Er soll bei ihnen sein und sei es auch nur mit ein paar Gramm seiner Asche. Ist das die Auferstehung, an die wir glauben?

Es fällt uns schwer, Menschen loszulassen, endgültig loszulassen, mit denen wir gelebt, gelacht und geweint haben und die wir jetzt so sehr vermissen. Jetzt ruhen sie, schlummern sie, nicht als „Nichtse“, bis zu dem Tag, an dem sie Gott aus dem Tod herausruft.

Wir dürfen sie loslassen, denn bei Gott sind sie unvergessen. Er kennt ihre Namen. Er kennt ihre Geschichte, ihr Leben. Das gilt auch für die, die wir gerne vergessen würden, aus welchen Gründen auch immer. Und es gilt auch für die, die auch im Tod niemandem mehr zur Last fallen wollen und deshalb anonym bestattet werden, weil sie keinen Ort wollen, an dem sie gelassen wurden, keinen Ort des Gedenkens. Keinen Ort an dem sie Unvergessen sind.

Vergänglich

Wir wissen um die Vergänglichkeit unseres Lebens und die Unausweichlichkeit des Todes, wir sind uns bewusst, dass unser Leben ein Ende hat, ein Ziel. Als Angehörige haben wir unmittelbare Erfahrungen gemacht mit dem Sterben von Menschen die uns nahe waren. Erfahrungen, die bewältigt sein wollen. Es lässt sich nichts mehr zurücknehmen, nichts mehr gutmachen. Auch darin ist der Tod etwas Unabänderliches. Unsere Geschichte mit unserem Verstorbenen wird zur Vergangenheit. Und wenn wir heute noch einmal ihre Namen nennen, soll es helfen trauern zu können, dem Schmerz Raum zu geben und sich der Endgültigkeit des Todes bewusst zu werden.

Hoffnung

Trotz aller Endgültigkeit, die wir im Tode eines lieben Menschen hautnah erleben, ist dies aber trotzdem nicht das Ende. Christen haben durch das Auferstehen Jesu, den Glauben an ihn und ihre Taufe, Hoffnung gegen den Tod, die eine vorläufige Hoffnung gegen allen Augenschein ist: Mit dem Tod ist nicht alles aus, das ist die zentrale Botschaft unseres Glaubens. Der Tod hat nicht das letzte Wort. Wir glauben an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Wir erwarten den neuen Himmel und die neue Erde, eine neue Schöpfung. Nicht eine Umwandlung des Bestehenden, sondern eine tatsächliche Neuschöpfung. Siehe ich mache alles neu. Das ist Gottes Ziel und Absicht. Der neue Mensch, der in Christus wiedergeborene, der den alten Menschen begraben und den neuen Menschen angezogen hat, wie uns Paulus lehrt. Er wird zum kommenden Gottesreich gehören, das uns erwartet. Gott wird bei den Menschen wohnen und sie werden sein Volk sein. Das ist die Hoffnung mit der wir leben und sterben können. Wir werden Gott begegnen innerhalb der Menschengemeinschaft, in der alle Gemeinschaftsprobleme gelöst sind und wir werden ihm in einer Umwelt begegnen, in der alle Weltnöte gestillt sind. Gott wird bei uns sein und wir werden seine Völker sein. Aus dem Gegeneinander ist das Beieinander getreten. Gott wird bei allen Menschen sein. Nicht bei den Juden oder bei den Deutschen oder bei den Religionsgemeinschaften oder irgendeiner Auswahl, sondern Gott wird sein bei allen Menschen die durch das Blut des Lammes gereinigt wurden und seine Menschen werden allezeit bei ihm sein.

Gott des Trostes

Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.

Es wird nicht mehr geweint werden. Vollkommenes Heil erwartet uns, das nicht mehr durch Unheil getrübt ist, jeder Gerettete wird in ganz persönlicher Gottesnähe geborgen sein, durch den Gott des Trostes. Er wird trösten wie nie zuvor und es ist für mich ein überwältigendes Bild, dass uns Gott selbst die Tränen unserer Gottverlassenheit aus den Augen wischen wird. Das Erste ist vergangen. Leid, Geschrei, Schmerz und Tod wird nicht mehr sein. Auf der neuen Erde wird nicht mehr geweint, weil das Sterben, mit all seinen Vorformen und Nachwehen, dem Leben gewichen sein wird. Der Tod, der soviel Leid und Elend in diese Welt gebracht hat, hat seine Macht verloren. Es wird nicht mehr getötet. Das Alte ist vergangen.

Liebe Gemeindeglieder,
liebe Angehörige unserer Verstorbenen,
es ist gut dort, wohin uns unsere Lieben vorausgegangen sind. Eines Tages wird auch unsere Stunde da sein, wo wir dieses Leben verlassen werden und dann wünschen wir uns auch dort zu sein – bei Gott. Lasst uns die Zeit nutzen und richtig leben. Nur wer richtig lebt, der kann auch richtig sterben. Ich habe dazu einen kleinen Text gefunden, den ich Ihnen zum Schluss vorlesen möchte.

Wer ein Leben ohne Schmerzen will, sollte nicht geboren werden. Wer ein Leben ohne Tränen will, sollte niemals Kind sein. Wer ein Leben ohne Spannungen will, sollte nicht erwachsen werden. Wer ein Leben ohne Leiden will, sollte niemals lieben. Wer ein Leben ohne Mühe will, sollte nicht arbeiten. Wer ein Leben ohne Opfer will, sollte niemals eine Familie haben. Wer ein Leben ohne Enttäuschungen will, sollte nichts hoffen. Wer ein Leben ohne Abschiede will, sollte nicht alt werden. Wer ein Leben ohne Einsamkeit will, sollte nicht einmalig sein. Wer ein Leben ohne Ziel will, sollte nicht sterben. Wer aber ein richtiges Leben will, sollte mit Schmerzen geboren werden, Kind sein, erwachsen werden, lieben und arbeiten, Familie und Hoffnungen haben, einzigartig sein, alt werden und einmal in Gott hineinsterben. Dann wird er ein Leben ohne Schmerzen und Spannungen und Leiden, Mühen und Opfer, Enttäuschungen und Abschiede, Einsamkeit und Tod finden.

Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Amen.

20101103

Werner Otto Sirch: Christus Herr über Lebende und Tote

7.11.2010 - Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr
Predigt Römer 14, 7-9

Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder in Christus,

Von der großen Eiche am Wiesenrand fiel das Laub. Es fiel von allen Bäumen. Ein Ast der Eiche stand hoch über den anderen Zweigen und ragte weit hinaus zur Wiese. An seinem äußersten Ende saßen zwei Blätter zusammen.
„Es ist nicht mehr wie früher“, sagte das eine Blatt. „Nein“, erwiderte das andere. „Heute Nacht sind wieder so viele von uns davon … wir sind beinahe schon die einzigen hier auf unserem Ast.“
„Man weiß nicht, wen es trifft“, sagte das erste. „Als es noch warm war und die Sonne noch Hitze gab, kam manchmal ein Sturm oder ein Wolkenbruch, und viele von uns wurden damals schon weggerissen, obgleich sie noch jung waren. Man weiß nicht, wen es trifft.“
„Jetzt scheint die Sonne nur selten“, seufzte das zweite Blatt, „und wenn sie scheint, gibt sie keine Kraft. Man müsste neue Kräfte haben.“
„Ob es wahr ist“, meinte das erste, „ob es wohl wahr ist, dass an unserer Stelle andere kommen, wenn wir fort sind, und dann wieder andere und immer wieder…“
„Es ist sicher wahr“, flüsterte das zweite, „man kann es gar nicht ausdenken… es geht über unsere Begriffe…“ „Und man wird auch noch traurig davon“, fügte das erste hinzu.
Sie schwiegen eine Zeit. Dann sagte das erste still vor sich hin: „Warum wir wohl weg müssen…?“ Das zweite fragte: “Was geschieht mit uns, wenn wir abfallen…?“
„Wir sinken hinunter…“
„Was ist da unten?“
Das erste antwortete: „Ich weiß es nicht. Der eine sagt das, der andere dies… aber niemand weiß es.“
Das zweite fragte: „Ob man noch etwas fühlt, ob man noch etwas von sich weiß, wenn man dort unten ist?“ Das erste erwiderte: „Wer kann das sagen? Es ist noch keines von denen, die hinunter sind, jemals zurückgekommen, um davon zu erzählen.“
Wieder schwiegen sie. Dann redete das erste Blatt zärtlich zum anderen: „Gräme dich nicht zu sehr, du zitterst ja.“
„Lass nur“, antwortete das zweite, „ich zittere jetzt so leicht. Man fühlt sich eben nicht mehr so fest an seiner Stelle.“
„Wir wollen nicht mehr von solchen Dingen sprechen“, sagte das erste Blatt. Nun schwiegen sie beide. Die Stunden vergingen. Ein nasser Wind strich kalt und feindselig durch die Baumwipfel.
„Ach… jetzt…“ sagte das zweite Blatt, „…ich…“ Da brach ihm die Stimme. Es ward sanft von seinem Platz gelöst und schwebte hernieder. – Nun war es Winter.


Liebe Gemeindeglieder, gerade jetzt in den grauen und kalten Tagen gehen meine Gedanken immer wieder hin zum eigenen Sterben. Ich denke, es geht vielen die im Herbst des Lebens sind so. Wir denken darüber nach, was dann sein wird: Was wird mich erwarten, wenn meine Lebenszeit abgelaufen ist? Wo werde ich sein? Wie werde ich mich selbst erleben – so wie das zweite Blatt gefragt hat: „Ob man noch etwas fühlt, ob man noch etwas von sich weiß, wenn man dort unten ist?“ Werden dort die sein, die ich geliebt habe, die mich geliebt haben? Werden wir uns erkennen?
Eine französische Karmeliterin hat kurz vor ihrem Sterben ihre Gedanken in einem Gedicht zusammengefasst. Sie hat es überschrieben:

Eine Liebe erwartet mich
Was auf der anderen Seite passieren wird,
wenn alles für mich
in die Ewigkeit gestürzt sein wird,
das weiß ich nicht.
Ich glaube, ich glaube allein,
dass eine Liebe mich erwartet.

Zwar weiß ich, dass es dann für mich
arm und ohne Gewicht darum geht
meine Bilanz abzuschließen
Aber denkt nicht, dass ich verzweifeln werde.
Ich glaube, ich glaube so sehr,
dass eine Liebe mich erwartet!

Das, was ich geglaubt habe, werde ich noch fester glauben
beim Schritt in den Tod.
Es ist eine Liebe,
auf die ich zugehe im Schreiten;
Es ist eine Liebe,
in die ich sanft hinabsteige.

Wenn ich sterbe, weint nicht;
Es ist eine Liebe, die mich nimmt.
Wenn ich Angst habe, und warum nicht? -
Erinnert mich einfach,
dass eine Liebe, eine Liebe mich erwartet.

Sie wird mich ganz öffnen
für ihre Freude, ihr Licht.
Ja Vater, ich komme zu Dir.
In dem Wind,
von dem man nicht weiß, woher er kommt und wohin er geht,
zu Deiner Liebe, Deiner Liebe, die mich erwartet.


Unser Predigttext steht im Römerbrief im 14 Kapitel:
7 Unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber.
8 Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.
9 Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.


Ein bekannter Text, den ich bei fast jeder Beerdigung am Friedhof spreche. Er lenkt unsere Gedanken hin auf Christus, ohne den wir nicht leben und nicht sterben können. Ohne Jesus sind wir lebendig tot. Für sich selbst leben, das ist die typische Art unseres fleischlichen Wesens. Es scheint so vernünftig, so aussichtsreich, so beglückend „für sich selbst zu leben“. Niemandem Rechenschaft zu schulden, auch sich selbst nicht. Und es ist doch Armut und Elend und endet in dem düsteren, leeren, grauenhaften „Sterben für sich selbst“. Jesus hat uns aus diesem „für sich selbst sterben“ erlöst. Nicht nur in unseren Gedanken oder in den Akten eines himmlischen Gerichtshofes.

Leben wir, so leben wir dem Herrn! Als Nachfolger Jesu, als die, die auf seinen Namen getauft sind und ihr Leben ihm anvertraut haben, gibt es für uns keine andere Möglichkeit mehr als mit unserem Herrn zu leben. Für uns ist das andere Leben tot – in dem wir nur für uns selbst leben. Es ist das Leben bevor Jesus bei uns eingezogen ist. Das Neue Leben ist die Folge unserer Entscheidung für ein Leben mit Jesus, zu dem wir von ihm gerufen und bekehrt wurden. Wir können nun nicht mehr für uns selbst leben, weil wir Jesus unser Leben anvertraut haben und ihm vertrauen, auf dessen Namen wir getauft sind.

Sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Das kann ein Mensch sagen, der sein Leben mit Jesus gelebt hat, der gelernt hat ihm in allen Dingen zu vertrauen. Er weiß tief in seinem Herzen, dass Gott ihn nicht betrügen wird. Gott wird ihn nicht in einen ewigen Tod fallen lassen, in ein Nichts. Keiner von uns lebt für sich selbst und keiner stirbt für sich selbst. Bei allen Christen, auch bei den schwachen und unvollkommenen ist es so. Wir alle sind von Christus ergriffen. Wir leben für und mit Jesus. Darum sind wir im Sterben nicht mehr so schrecklich allein mit uns selbst.

Die Schriftstellerin Kristiane Albert-Wybranietz schriebt einmal:
Ich habe solche Angst zu sterben.
Aber damit verhindere ich nicht meinen Tod -
sondern behindere mein Leben.


Wir verdrängen in unserer heutigen Gesellschaft sehr gerne den Gedanken an den Tod. Wir haben es verlernt mit ihm zu leben, obwohl er uns an allen Ecken und Enden begegnet. Das Wissen darüber, dass unser Leben endlich ist blockiert uns, darum denken wir lieber nicht daran, setzten uns nicht mit unserem Sterben auseinander, denn wir fühlen uns durch den Tod in unserem Leben behindert. Wir verhindern den Tod nicht dadurch, dass wir ihn aus lauter Angst verleugnen. Aber wir behindern unser Leben, das mit jedem Tag ein Geschenk ist. Ein Geschenk dessen, der uns ins Leben gerufen hat und mit uns jeden Schritt unseres Lebens geht: Leben wir, so leben wir dem Herrn!

Es gibt aber auch ein Sterben in dem Herrn. Sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Dieses Sterben wird uns bei aller bleibenden Schwere des Sterbevorgangs trotzdem selig machen.

Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Paulus hat den Sterbenden nicht einfach in den Himmel, in die „Herrlichkeit“ versetzt. Auch Christen sind nach dem Sterben zunächst „Tote“, das heißt aber nicht „Nichtse“, sondern Angehörige des Totenreichs, aus dem sie bei der Auferstehung der Toten auferstehen, wenn Jesus die Seinen aus den Gräbern herausruft. Aber das ist für Christen keine dunkle und unheimliche Existenz. So wie der Israelit Lazarus „in Abrahams Schoß“ war im Totenreich, so gehören die, die für den Herrn lebten und starben, auch im Totenreich ihm und stehen auch dort ganz unter seiner gnädigen Herrschaft. Ja, sie sind dort anders und näher mit ihm zusammen. Sie sind bei Christus.

Wohl mir, dass ich JESUM habe,
o wie feste halt ich ihn,
dass er mir mein Herze labe,
wenn ich krank und traurig bin.
Jesum hab ich, der mich liebet
und sich mir zu eigen gibet,
ach, drum lass ich Jesum nicht,
wenn mir gleich mein Herze bricht.

Jesus bleibet meine Freude,
meines Herzens Trost und Saft.
Jesus wehret allem Leide.
Er ist meines Lebens Kraft.
Meiner Augen Lust und Sonne.
Meiner Seele Schutz und Wonne.
Darum lass ich Jesum nicht
aus dem Herzen und Gesicht.

Amen.

20101102

Martin Adel: Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben

31.10.2010 - Reformationsfest
Röm 3,21-28

Predigttext (Zürcher)
21 Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten.
22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: 23 sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, 24 und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.
25 Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher 26 begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus.


Liebe Gemeinde,

wir Theologen verhandeln diesen Text unter der zentralen Botschaft der Rechtfertigungslehre. Der Mensch, gerechtfertigt vor Gott allein aus Gnade. Und Luther hat daraus die Kraft gezogen, um sich gegen die ganze, damalige Kirche zu stellen.
Aber was heißt dieses Wort heute? Was bedeutet es für uns?
Lassen sie mich einen Auslegungsversuch machen.

Wir wissen alle, wie das Leben läuft.
Wer etwas leistet, bekommt auch seinen Lohn. Wer sich anstrengt, der hat auch Erfolg. Und wer Erfolg hat und Lohn, der gehört dazu, denn er kann sich etwas leisten. Und wer sich etwas leisten kann, der hat auch Ansehen. Und wer Anstehen hat, der geht aufgerichteter, aufrechter durchs Leben. Er versteckt sich nicht, sondern hat Selbstbewusstsein. „Ich muss mir nicht alles gefallen lassen, schließlich bin ich auch wer!“

Und wir, wir wissen alle, ein Hauptproblem von Arbeitslosigkeit ist, dass das Selbstbewusstsein und das Selbstvertrauen einen Knacks bekommt. Nicht im Sprücheklopfen oder Dumm daher reden, das wird meistens mehr, je mehr jemand unter dem erdrückenden Zustand leidet. Andere verfallen ins Schweigen, weil sie ja eh nichts mehr zu sagen haben.
Das innere, mich stabilisierende Korsett kommt ins Wanken und droht zu zerbrechen. Wer bin ich? Was bin ich dann noch? Was bin ich wert?
Eine Konfirmandin schrieb einmal bei der Konfirmandenanmeldung beim Beruf ihrer Eltern: Arbeitslos. Beide Elternteile hatten einen gelernten Beruf, das wusste ich, doch hier drängte sich in den Vordergrund, was das Leben dieser Familie so gewaltige bestimmte: arbeitslos.
Und Väter verlieren ihr Gesicht vor ihren Frauen, vor ihren Kindern – oder meinen es zumindest.
Und sie können sich vorstellen, wie das Mädchen aufblühte, als der Vater endlich wieder Arbeit gefunden hatte.

Wenn unsere Jugend 30, 40 Bewerbungen schreiben muss und genauso viele Absagen bekommt, dann macht das mich wütend, weil ihnen jeder nur beigebracht hat, du musst fleißig sein und du musst dich bewerben, bewerben und wir haben ihnen oftmals kein Handwerkszeug mitgegeben, wie sie mit den Ablehnungen und Enttäuschungen zu Recht kommen können.

Wir nennen das Leistungsgesellschaft. Eigentlich müsste es heißen: Hochleistungsgesellschaft. Immer volle Konzentration und immer maximale Leistung.
Und unter diesem Alltag, verändert sich unser inneres Ich. Die Bereitschaft zum Nachgeben, zum Verständnis, zur Großzügigkeit, zur Geduld entschwindet uns. Einer wird dem anderen zum Konkurrenten. 3-2-1-meins. Pech gehabt. Glück gehabt. „Bitte nach ihnen“ – kennen wir nicht mehr.

Natürlich bin ich auch ein guter Deutscher. Ich bin auch leistungsorientiert und bringe mein Können voll in meinem Beruf ein. Auch noch bis spät in die Nacht. Und es ist ja auch gut, dass wir fleißig und ordentlich und gewissenhaft arbeiten. Aber müssen wir deshalb schon rücksichtslos, gnadenlos und unbarmherzig werden, in unserem Denken, in unserem Reden, in unserem Tun?
Wenn diese Haltung uns zur alles bestimmenden inneren Überzeugung, ja sogar uns zur Religion wird, dann sind wir auf dem falschen Weg. Weil auf dem Altar der Leistungsgesellschaft und des Leistungsglaubens der Mensch und die Menschlichkeit auf der Strecke bleiben.
„Warum sollte es denen besser gehen, als uns damals“ – sagte mir einmal ein altes Ehepaar Heimatvertriebener. Wir mussten 1945 auch auf Stroh schlafen, da können die Asylbewerber heute auch auf Stroh schlafen.
Im Alten Testament heißt das: Auge um Auge. Zahn um Zahn.
Drei Sätze später erzählten sie mir dann, dass sie sich alle drei Jahre eine neue Couch gönnen – und geben mir am Ende 5 Euro mit für die Armen in der Gemeinde.

Wir spüren gar nicht mehr, wie wir, die wir oft nicht unerheblich unter dem permanenten Leistungsdruck leiden, selbst dann Täter dieser Leistungsreligion geworden sind, verachtend und verletzend gegenüber meinem Nächsten. Und die Abfälligkeiten, mit denen wir über den anderen Urteilen, verkehren sich sehr schnell gegen einen selbst, wenn man einmal nicht mehr zu den Gewinnern, zu den Leistungsträgern, zu den Gesunden und Gebrauchten gehört und selbst geopfert werden auf dem Altar der Hochleistungsreligion.

Doch Gott stellt sich in Jesus Christus gegen dieses gnadenlose und unbarmherzige Verhalten. Im Leistungsglauben wird der Mensch verheizt. Er hat nur noch seinen Wert und seine Würde, wenn er etwas bringt. Wenn er etwas leistet – dann gehört er dazu. Und dagegen spricht Gott sein Nein.
Und deshalb heißt es in unserem Predigttext:
21 Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. 22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt – allein - durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben.
In einem solchen Glauben bin ich etwas wert, auch wenn mir andere permanent sagen oder mir zeigen, dass ich nicht dazu gehöre – und ich es womöglich selbst schon zu glauben anfange.
In einem solchen Glauben müssen nicht mehr nur wir für die Hartz IV – Empfänger vor der Lorenzkirche stehen, sondern die, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, stehen selber dafür ein, weil sie sich nicht mehr verstecken müssen, ängstlich wartend, dass sie bei der nächsten Bewerbung sofort k.o. zu Boden gehen, wenn es da heißt: Sie waren ja schon einmal im Gefängnis. Mit diesen Zähnen können wir sie nicht gebrauchen. Da ist eine Lücke in ihrem Lebenslauf. Bei ihrem Alter und ihrer gesundheitlichen Vorgeschichte können wir uns nicht erlauben …
In unserem Predigtwort heißt es:
22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: 23 sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten.
In einem solchen Glauben müssen wir nicht mehr mundtot werden, reduziert auf meine Schwächen, auf meine Fehler, auf meine Vorgeschichte, auf mein Alter.
Die 30igste Bewerbung schlägt mir dann zwar immer noch gewaltig auf´s Gemüt, aber ich erlaube der Absage nicht mehr, dass sie meine ganze Person, mein ganzes Denken und Fühlen bestimmt und mich erdrückt.
Die Psychologie ist das eine. Und die Freunde, die Familie, die zu mir Halten, sind ebenfalls unbezahlbar wertvoll.
Aber das ist zu wenig, wenn die Selbstzweifel über mich herein brechen. Dann braucht es ein noch mächtigeres Wort, das alle diese Zweifel niederringt. Dann braucht es den festen Glauben und die Gewissheit, dass dieses Wort gilt, unausweichlich gilt … und werde ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.

Dadurch ist noch kein Cent mehr in meinem Geldbeutel und meine Vorgeschichte bleibt meine Vorgeschichte, aber innerlich wächst in mir eine Haltung heran, die mich wieder aufrichtet und ausrichtet und ich muss mich nicht mehr abseits fühlen, sondern ich gehöre vollwertig und gleichwertig dazu – allein aus Glaube.
Das ist das Evangelium, wenn es zum Schluss heißt:
Gott hat Jesus Christus für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher 26 begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht – und aufrichtet - den, der da lebt aus dem Glauben – nicht an sich selbst, sondern - an Jesus.
Amen