20130327

Martin Adel: Letzte Worte - getröstete Abschiede

Sonntag Palmarum 24.03.2013
Predigttext Johannes 17,1-8

Liebe Gemeinde,
heute muss ich mit dem Sterben beginnen, damit wir zum Leben kommen können.

Wenn wir heutzutage ans Sterben denken, dann sind wir ziemlich alleine. Reduziert auf diese Welt und diese Erde, trauen wir uns kaum mehr darüber nachzudenken oder davon zu sprechen, dass unser Leben in einem viel größeren Zusammenhang – nämlich im Bezug zur Ewigkeit - gelebt wird als in diesen 70, 80, 90 oder noch mehr Jahren, die Gott uns zugeteilt hat.
Dass wir überhaupt im Bezug zu Gott leben, geht uns oft völlig verloren und so müssen wir oft auch ohne Bezug zu Gott sterben.
Traurig ist das. Sehr traurig. Und das gilt sogar auch da, wo wir noch gemeinsam auf dem Friedhof stehen und Abschied nehmen, Gottes Wort von der Auferstehung hören und von der Verwandlung unseres Leibes – aber glauben können wir es nicht und Gottes Wort bleibt fremd und gibt weder Trost, noch Halt, noch Orientierung.
Doch wenn wir ohne Gottesbeziehung leben, werden wir auch ohne Gottesbeziehung sterben und was dann auf uns wartet, das weiß ich nicht.
In dieser Unentschiedenheit leben viele und stricken sich dann selbst ihr Glaubensgewand zusammen mit ein bisschen von hier und ein bisschen von dort und manche lassen es dann gleich ganz sein und sagen: Jeder stirbt für sich allein. Und das ist dann auch so – und meinen vielleicht sogar noch, das wäre ehrlicher.

Was aber auf uns wartet, das könnten wir wissen, wenn wir uns denn Gott anvertrauen würden, im Leben und im Sterben.
So schreibt schon der christliche Schriftsteller Tertullian (gest. 220 nach Christus): "Der Tod des Gottessohnes 'ist glaubhaft, weil er töricht ist', und seine Auferstehung 'ist gewiss, weil sie unmöglich ist.'" (WLP 1/2013 S.26)

Beweise sind das keine. Aber was sind das schon für Beweise, die wir haben könnten für unseren Glauben, dass dieser Jesus aus Nazareth der Messias, der Gesalbte ist, der Menschsohn, der Christus, in dem wir Gott selbst sehen und hören, was er für uns und unser Zusammenleben gedacht und vorgesehen hat.
Und dann zieht er in Jerusalem ein und die Menge jubelt: Hosianna, dem Sohn David … und wenige Tage später rufen sie: Kreuzigt ihn.
In Ungnade ist er gefallen, weil er die Sehnsüchte und Träume der Menschen nach Glück und nach Gesundheit, nach Macht und Selbstbestimmung und Befreiung von den Römern nicht erfüllt hat. Sie fordern Gott heraus für das letzte Wunder: Hilf dir selbst, dann hilf dir Gott. Wenn du Gottes Sohn bist, dann steig herab vom Kreuz …

Der auf dem Esel einzieht wird zur Bedrohung und man gibt ihn der Lächerlichkeit preis und tobt an ihm die eigenen Machtgelüste aus, um seine Ohnmacht zu demonstrieren. In ihren Vorstellungen ist der Tod immer tot und es darf keinen Weg aus dem Grab gaben – das wäre bedrohlich - und man gibt erst Ruhe, wenn man dem anderen alles Lebenstragende vernichtet hat. Für das Sterben darf nur noch gelten: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen. Das will die Welt hören. Darauf legt sie uns fest.

Aber es gibt auch den anderen Weg – den Weg, weswegen Jesus auch in Jerusalem einzieht. Er fängt mit seinem Wort an: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Und am Ende spricht er: Vater ich befehle meinen Geist in deine Hände. Das Opfer bleibt nicht in der Ohnmacht, sondern hält der Welt entgegen, was sie nicht aushält. Es ist die Liebe und die bedingungslose Hinwendung zu Gott, wo alle Welt Gott verneint.

Bis heute können wir den Weg der Demut und der Hingabe und der Fürsorge für uns nur schwer verstehen, und in unserem jugendlichen Hosianna kommen wir selbst gern ins stolpern über mancher Brutalität des Lebens und schreien vielleicht nicht gleich: Kreuziget ihn. Aber zucken doch zusammen ob der bedrängenden Macht des Faktischen und das Kreuz wird zum Ort des Scheiterns und die Auferstehung zum schwachen Trost, die schön wäre, wenn man sie glauben könnte und bleibt unentschieden, ob es nicht doch nur ein Hirngespinnst der Jünger und der unmündigen Frauen war.
Wenn wir ohne Gottesbeziehung leben, werden wir ohne Gottesbeziehung sterben. Warum sollte das auch anders sein. Und Sein Wort kann uns nicht trösten und halten, dort wo wir keinen Trost mehr haben, weil unser letzter Atem aus uns weicht und tot nur noch tot ist.
Dass man auch anders vom Sterben sprechen kann und dass die Kreuzigung mehr ist als nur der Sieg der Welt über Gott, das lesen wir im Johannesevangelium. Jesus spricht in den Abschiedsworten anders von seinem Tod – und das könnte auch uns tragen, wenn es denn bei uns an der Zeit ist:

17 1 So redete Jesus und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist da: verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche; 2 denn du hast ihm Macht gegeben über alle Menschen, damit er das ewige Leben gebe allen, die du ihm gegeben hast. 3 Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen. 4 Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue.
5 Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war. 6 Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. 7 Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt. 8 Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast.


Was glauben wir denn, wer da einzieht in Jersualem? Der Gescheiterte oder der Auferstandene, der in seinem Sterben dem Tod die letzte Macht nimmt, so dass Dietrich Bonhoeffer noch kurz vor seiner Hinrichtung durch die Nazis sagen kann: "Für viele das Ende, für mich der Anfang eines neuen Lebens."

In dem kleinen Büchlein von Johannes Gillhoff mit dem Titel: Jürnjakob Swehn der Amerikafahrer – erstveröffentlich im Jahre 1917, schreibt der ehemalige Tagelöhnersohn Jünrjakob, der es in Amerika zu einem großen Farmer gebracht hat, vom Sterbebett seiner Mutter, die er im Alter zu sich in die USA geholt hatte. Sie ist mit 72 ½ Jahren gestorben (S. 95f – dtv – 10. Auflage 1990)):
„Ich aber überdachte ihr Leben, als es zu Ende ging, und fand nichts als Mühe und Not. Dann faltete sie die Hände wieder und sah mich still und fest an, und ihre Augen waren groß und tief. Da war schon etwas drin, was sonst nicht drin war. Das kann ich nicht mit Wörtern beschreiben. Da konnte man hineinsehen wie in einen tiefen See. Ich legte meine Hand (...) ganz sacht wieder auf ihre Hände, und wir warteten. Aber nicht mehr lange. Dann sagte sie noch mal was. Sie sagte: Ick wull, dat ick in'n Himmel wer; mi ward die Tied all lang. („Ich will, dass ich im Himmel wäre; mir wird die Zeit zu lang“) - Lieber Freund, das behalte ich mein Leben lang bis an meinen Tod. Das könnte, so wie es ist, ganz gut im Gesangbuch stehen. Dann aber faltete sie die Hände wieder unter meiner Hand. So betete sie ganz leise unser altes Kindergebet: Hilf, Gott, allzeit, mach mich bereit zur ew'gen Freud und Seligkeit. Amen.
Als sie das Amen gesagt hatte, da drehte sie den Kopf so'n bißchen nach links rum, als wenn da wer kommen tat. Und da ist auch einer gekommen; den habe ich nicht mit meinen Augen gesehen und nicht mit meinen Ohren gehört. Der hat sie bei der Hand genommen, und da ist ihre Seele ganz leise mitgegangen, richtig so, als wenn man aus einer Stube in die andre geht. So ist sie nach Hause gegangen, als wenn ein müdes Kind abends nach Hause geht. Und nun ist sie nicht mehr in einem fremden Lande. (…)
Meine Mutter war eine Tagelöhnerfrau. Aber wenn ich an ihr Sterben denke, dann ist immer etwas Feines und Stilles und Schönes in meinem Herzen, das vorher nicht da war. Aufschreiben kann ich das nicht, und sagen lässt sich das auch nicht. Aber draußen auf dem Felde muss ich manchmal mitten im Pflügen stillhalten und in mich hineinhorchen. Dann kann ich das richtig in mir hören, was meine alte Mutter zuletzt gesagt hat. (…) Ick wull, dat ick in'n Himmel wer; mi ward die Tied all lang. (…) Und dann ist mir richtig wie am Feiertag. Dann ist mir, als wenn da der Vorhang zum Heiligtum ein wenig aufgezogen wird, dass man da so'n bisschen durchsehen kann. Wenn ich dann weiterpflüge, muss ich mich darüber immer wieder wundern."

Wir sind erkannt. Und wir sind bei Gott bekannt. Wir sind erlöst, von dem, was uns bindet, weil der Tod nicht mehr das letzte Wort hat. Und dieser Trost Gottes, der beim Einzug in Jerusalem noch bejubelt wird, kann im Hier und Jetzt bereits sein Licht auf uns werfen und uns verwandeln, durch den Karfreitag hindurch hin zum Ostermorgen. Denn das will das Wort Gottes bis heute auch für uns. Wir sollten es nur zulassen und uns auf den Weg mit ihm machen.
Amen.