20150210

Martin Adel: Endlich allein?! Wenn Kinder groß werden

Mit-einander Gottesdienst zur Ehewoche
08.02.2015 Sonntag Sexagesimae

Liebe Gemeinde.
Endlich allein - Fragezeichen? Ausrufezeichen! ist heute im Zentrum unseres Nachdenkens. Sind sie bereit?
Bei mir steht hier ein Ausrufezeichen. Nicht, weil ich unsere Jungs nicht mag, aber es ist doch noch einmal etwas anderes, wenn die Jungs mal ein Wochenende bei ihrem Papa verbringen. Dann ist es ruhiger und irgendwie bin ich auch freier. Man muss nicht schauen, ob noch irgendwo einer muffelig herum sitzt oder der andere eine ¾ Std. im Bad braucht – ein Junge, bis der geduscht ist und sich die Haare gefönt hat.
Bei meiner Frau darf ich mit ins Bad …
Keiner schaut hungrig in den Kühlschrank und fragt, wann es denn Essen gibt. Der Fernseher und das Sofa sind nicht blockiert und ich muss mir nicht überlegen, ob es Zeit ist und ich einen ermahnend ins Bett schicken muss oder ob nicht noch das Altpapier herunter getragen werden sollte oder die Getränke aufgefüllt oder warum die Arbeitsmappe für die Schule noch nicht fertig ist ….

Ein freies Wochenende eben und keine „erzieherischen“ Verpflichtungen.
Endlich allein!
Der Anfang in einer Ehe, bzw. wenn die Kinder kommen, ist doch auch mit viel Verzicht verbunden und der Kampf um die eigene, freie Zeit wird oft mit harten Bandagen geführt.
Auch die gemeinsame, die Paarzeit, muss kräftig zurück stecken, was auch prinzipiell nicht falsch ist, denn im Sorgen für, in der „Für-Sorge“ für die Kinder bekommen wir gleichzeitig sehr viel geschenkt. Und dann arrangiert man sich und denkt: „Das machen wir dann halt später, wenn die Kinder mal groß sind. Dann machen wir wieder mehr zu Zweit. Nur wir für uns. So wie früher.“ So lautet oftmals der Trost oder die Vertröstung und das Träumen und ausgesprochene oder unausgesprochene Versprechungen.

Und dann kommt diese Zeit tatsächlich. Und plötzlich ist die Wohnung viel zu still oder das Haus zu groß. Nichts mehr liegt herum und es gibt nichts mehr, worüber man diskutieren könnte oder müsste. Kinder geben ja doch auch viele Impulse in einer Ehe. Und: Worüber spricht man jetzt mit seinem Partner? Man kennt sich ja schon seit Jahrzehnten und weiß, wie der andere / die andere ist. Sicherlich: Endlich gibt es ein zwei Arbeitszimmer oder ein eigenes Bügelzimmer, aber so ganz ohne Störungen und Zwischenfälle ist es doch irgendwie befremdlich.

Enttäuschung, über aufgeschobene „Versprechen“
Die Zeit, wo man wieder Zeit hat, kommt unweigerlich. Gut, man braucht sie auch. Aber plötzlich ist es anders.
Man kann ins Theater gehen, aber man will nicht. Und dann gibt es solche Gespräche, wie:
„Du wolltest doch immer mal mit mir ins Theater gehen.“ Und die Antwort lautet: „Ja. Früher. Aber jetzt nicht mehr. Ich bin immer so müde, wenn ich vom Geschäft heim komme.“

Die Enttäuschung über die aufgeschobenen Versprechen und Wünsche ist manchmal riesig. Und diese Enttäuschung kann bis tief in unsere Beziehung und in unsere Sexualität hinein reichen.
Das vertröstende Warten wird zu einem enttäuschten Warten, diesmal zu einer Enttäuschung nicht über die Umstände, sondern über den Partner. Und all der Lebens-Frust, der Warte-Frust und das Zurückstecken mit den aufgeschobene Versprechungen kann zu einem zerstörerischen Krankheitsherd werden. Deshalb ist es so wichtig, dass wir den Mut haben, auch unsere aufgeschobenen Versprechungen anzuschauen, sie auszusprechen und miteinander ins Gespräch darüber zu kommen.

Das ist ja eines der größten Geschenke des Glaubens, dass Gott uns wahrhaftig macht. Und in seinem Halt finden wir den Halt, den wir brauchen. Denn manchmal erschrickt man nur, was man dann sieht, wenn man hinsieht, weil man vielleicht nur einen einzigen Trümmerhaufen sieht.
Bei unserem „Lebens-Warten“ haben wir das Altern vergessen. Das eigene und das des anderen. Plötzlich könnte man von der Zeit her, aber die Kraft ist weniger geworden. Außerdem zwickt es bereits an der einen oder anderen Stelle und man weiß leider nur zu genau, wo der Doktor seine Praxis hat.

Und über den Kindern sind wir uns vielleicht fremd geworden. Manche halten dann die Kinder fest, damit sich zu Hause ja nichts ändert und wir der Realität nicht in die Augen blicken müssen. Und die Kinder können ein guter Vorwand sind, um uns nicht als Paar begegnen zu müssen.
Denn die Frage ist immer wieder einmal in jeder Partnerschaft: Sind wir über unseren Kindern einander Mann und Frau geblieben? Wir ZWEI sind doch die Achse, auf der sich unsere Kinder stabil entwickeln können. Für die Kinder ist es die Mama, aber für mich ist es nicht die Mama, sondern meine Frau. Und später ist sie für die Enkel die Oma, aber für mich ist sie nicht die Oma, sondern sie ist meine Frau. Mann und Frau haben ganz andere Aufgaben füreinander.

Ernüchterung
Plötzlich stellt man fest: Wir haben unsere Kinder groß gezogen und in die Selbständigkeit entlassen und müssen nun wieder lernen selbständig zu leben. Die manchmal so lästige Für-Sorge hatte ja auch einen eigenen, sinngebenden Nutzen. Wir wurden gebraucht. Wir waren nötig. Unser Leben machte Sinn.
Und plötzlich wird man nicht mehr gebraucht.
Das ist oft auch für die Frauen eine sehr schwere Zeit, die in der Kinderphase beruflich zurück getreten sind. Und dann sind die Kinder groß und ich habe wieder Zeit, aber der Mann ist nach wie vor den ganzen Tag auf der Arbeit und das wird auch die nächsten 10-15 Jahre noch so sein. Und ich? Was wird jetzt mit mir?

Umbruch um die 50
Und dem Ideal folgt die Ernüchterung.
Der Umbruch mit ca. 50, da, an der Schwelle, wo die Kinder selbständig werden oder aus dem Haus gehen, das ist ein großes Thema in der Seelsorge.
Oder man wird selbst kränklich und es kommt ein großer Frust auf: Jetzt, wo man endlich könnte, geht es nicht mehr. Oder die Eltern oder Schwiegereltern sind gebrechlich geworden und brauchen plötzlich unsere Für-Sorge. Und man hat so das Gefühl: Ja hört denn das nie auf, dieses sich um andere Sorgen!

Kindheitsträume
Doch wenn das alles nicht ist und wir dann endlich allein sind, was tun wir dann?
Meine Frau und ich waren am letzten Heiligen Abend das erste Mal allein zu Zweit und wir wussten zunächst gar nicht, was wir essen wollen.
Ich habe letztes Jahr mal eine Reportage gehört, die sich damit beschäftigte, welchen Kindheitstraum sich Menschen im Alter erfüllen.
Und die Interviewten blieben alle so auf der Ebene: Jetzt habe ich endlich genug Geld oder Zeit, um mir diesen Kindheitstraum zu erfüllen. Doch im Laufe der Sendung wurde ich immer ärgerliche. Ist das denn unser Leben? Dass wir im Alter das umsetzen, was wir uns in der Kindheit nur erträumen konnten? Wie starr ist dieses Denken. Als ob ich die 50 Jahre dazwischen eingefroren gewesen wäre. Vielleicht brauche ich ja das gar nicht mehr, weil ich jetzt ganz andere Träume habe. Vielleicht freue ich mich daran, wenn meine Enkel nun Dinge tun, die ich mir damals nie getraut hätte. Und ich genieße es und bin froh, dass ICH es nicht tun muss.

Neu aneinander gewiesen
Sicherlich: Diese Veränderungen kosten Kraft, vor allem, weil wir sie uns nicht selbst gesucht haben, sondern weil sie uns in den Weg gestellt werden. Sie erwarten von uns, dass wir uns neu mit uns selbst und mit dem anderen beschäftigen. Sie bringen auch Konflikte mit sich. Aber es lohnt sich. Denn Gott hat sein JA nicht nur über unsere Anfangsjahre gesprochen. Er weiß, wie das Leben verläuft. Das ganze Leben. Und so übergibt er uns an diesem Übergang, wenn die Kinder groß werden, neu uns selbst.
Es ist ein natürlicher Prozess!

Bibelworte
Und so spricht die Bibel von Anfang an von dieser Veränderung, von diesem Umbruch und der Distanz, wenn es bereits im zweiten Kapitel der Bibel heißt: Und ein Mann wird Vater und Mutter verlassen und er wird seiner Frau anhängen und die beiden werden ein Fleisch sein. (1 Mose 2,24) Und der zwölfjährige Jesus im Tempel weist seine Eltern brüsk zurück (Lk 2,41ff), ähnlich ja auch, als er seine Mutter und seine Brüder zurück weist (Mk 3,31).
Andererseits zeigt es von Jesu großer Fürsorge, als er noch am Kreuz zu Johannes sagt: Siehe, das ist deine Mutter. Und zu seiner Mutter: Siehe, das ist dein Sohn. (Joh 19,25ff).

Und das Alte Testament spricht von der großen Fürsorge zwischen der verwitweten Ruth zu ihrer verwitweten Schwiegermutter Naomi. Bis heute sind diese Worte ein sehr beliebter Trauspruch, wenn es da heißt: Wo du hin gehst, da will ich auch hin gehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden, Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden. (Ruth 1,16ff)

Könnte das unser neues JA zueinander werden. Nach 15, 20, 25 Jahren Ehe – wo wir ja schon wissen, wie der andere IST.

Und dabei einander neu entdecken. Das Geige spielen, der Krippenbastelkurs, das Malen, die Fotografie. Hobbies alleine oder zu Zweit.
Da ist auch viel Hilflosigkeit unter den Paaren, denn der Anfang des Lebens war klar. Aber jetzt, wenn die Kinder aus dem Haus gehen, wie geht es da weiter?
Und dann womöglich in dieser Haltung: Was gibt es schon noch Neues zu entdecken? Unterlegt mit dem Totschlagargument: „Das hat dich doch früher auch nicht interessiert!“

Blockieren wir uns nicht gegenseitig, sondern bereichern wir uns. Vielleicht mit dem Interesse für den anderen?
Stolz, gemeinsam etwas geschafft zu haben?
Traurig, aber einander tröstend, was nicht geworden ist.
Und es gibt mehr zu entdecken, als wir vermuten. Die Zeit ist zu schade, als dass wir uns die gegenseitigen Verletzungen heimzahlten. Manchmal braucht es auch in unseren Ehen einen Schuldenschnitt für einen Neuanfang. Unser Herrgott hat uns dazu gute Werkzeuge in die Hand gegeben, die wir nutzen sollten.

Endlich allein?!
Gott weiß sehr wohl, warum die Ordnungen des Lebens so sind, wie sie sind. Nur wir reiten bisweilen auf dem falschen Pferd und dann noch in die falsche Richtung.
Aber wenn wir Gott bitten und fragen, auch dann noch fragen, wenn wir schon groß und erwachsen sind und uns im Übergang vorfinden vom Vater zum Opa, wenn wir auch da Gott fragen: was steht an und was ist mein Weg, allein und zu Zweit – dann ist schon viel gewonnen.

Denn den zweiten Frühling gibt es auch für uns. Und wenn das Gefühl hoch kommt: „Jetzt ist das Leben an mir vorbeigerauscht!“ Dann habe ich zwei Möglichkeiten.
Dann kann ich mich grämen und ich beraube mich dabei selbst noch meiner Verdienste, weil ich es so bewerte, als ob es ALLES NICHTS gewesen wäre, was ich bisher gemacht habe.
Oder ich kann versöhnlich und versöhnt fragen: Was steht JETZT an? Was brauche ich? Was gibt mir Kraft? Wie können wir den Weg gemeinsam gehen.

Der Prophet Elia ging damals nach dem Kraftakt auf dem Karmel in die Wüste. Er legte sich nieder und wollte sterben. – Typisch Mann. Entweder voll leben oder dann gleich sterben.
Doch der Engel bringt ihm Wasser und Brot.
Zweimal sogar. Und Elia isst und trinkt. Sehr spartanisch, aber es hilft.
Und er bekommt Kraft und wandert 40 Tage und 40 Nächte durch die Wüste zum Berg Horeb, dem Gottesberg.
Und dort hat er eine Gottesbegegnung. Erstmals und einmalig.
Und vielleicht ist das der zweite Frühling?

Hape Kerkelings Leben hat sich verändert mit dem Jakobsweg und seinem wunderschönen Buch: Ich bin dann mal weg.

Und Elia sieht in seinem Leben wieder einen Sinn. Und er kommt seiner Aufgabe nach. Und vielleicht ist es nicht von ungefähr, dass man danach nicht mehr viel von ihm hört. Seine Blütezeit ist vorbei. Sein Nachfolger kommt in den Blick: Elisa. Doch das, was er war, das hat Bestand und wird bis heute erzählt.

Viel zu oft sind wir den alten Bildern verhaftet. Wir leben rückwärtsgewandt, als ob man Leben nachholen könnte. Dabei wartet vorne Gott auf uns und damit auch das Leben. Und dort gibt es noch so manches zu entdecken. Allein und zu Zweit.

Amen.