06.11.2016 - Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr
Thema: 2. Korinther 5, 17-20
17 Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.
18 Aber das alles ist von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt.
19 Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.
20 So sind wir nun aBotschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!
Liebe Gemeinde
1.
Hinführung
„Jetzt versöhnt euch halt wieder!“ – und man
merkt: Nie und nimmer. Das werde ich dir nie verzeihen!
Bin ich deswegen schon unversöhnlich?
Gibt es nicht Dinge, Ereignisse in meinem
Leben, die ich nicht vergessen kann, nicht verzeihen kann? Tiefe Kränkungen. Verletzungen.
Brüche – mit dem Partner, mit den Eltern, mit den Geschwistern – Vertrauen, für
immer zerstört.
Und erschrecken sie nicht, was da alles in
einem hoch kommt, wenn man bereit ist, in diesen Abgrund zu schauen.
Diese Woche kam ein Mann ins Pfarramt. Er
hat jetzt erst erfahren, dass seine Schwester vor zwei Jahren verstorben ist
und wir sie beerdigt haben. Sie hatte vor Jahren den Kontakt mit der Familie
abgebrochen. Und nun ist er auf der Suche nach Antworten, nach Versöhnung mit
dieser abgebrochenen Geschichte – um Frieden zu finden. Aber geht das überhaupt
noch – auch nach dem Tod?
Und wie schnell solche Brüche manchmal gehen:
die ungeliebte Schwiegertochter, das falsche Gebetbuch, der Vorwurf „die hat meinem
Sohn das Kind naufgehängt.“ Wie schnell sind Worte gesagt und welch verheerende
Folgen können sie haben. Und wie könnte man sie wieder einfangen oder wieder
gut machen. Wie gelingt Versöhnung? Denn eines ist ja klar: Solche Dinge kann
man nicht ungeschehen machen, weil sie Realität sind – und manchmal mehr, als
einem lieb ist. Der Mensch vergisst
nicht! oder nur sehr schwer.
Und wir kennen das auch aus unserer eigenen
Gemeindegeschichte mit seinen Parteiungen und Verwerfungen: Religiöse Spinner, Sekte, Ungläubige, Heiden
etc.
Und dann tragen wir diese
Unverzeihlichkeiten mit uns herum – entweder gut versteckt, damit sie uns in Ruhe lassen und wir weiterarbeiten
können oder fleißig gehütet bis zum
Tag der Vergeltung, an dem ich es ihm/ihr heimzahlen kann?
Doch beides ist nicht gesund, denn beides
bindet uns und hält uns fest in der Vergangenheit – und Neues kann nicht
werden.
2.
Verletzungen
Aber wie kann ich sich das ändern. Wie komme
ich in einen zustand der Versöhnung, damit wieder Friede werden kann in mir
und die Chance für Neues für mich und für meine Umgebung.
Der erste Schritt ist, dass wir zuerst
von den Verletzungen sprechen müssen. Die Lebensmarker der Enttäuschung sind
gesetzt. Mir ist UNRECHT widerfahren – egal ob absichtlich oder unabsichtlich
und ich bin dadurch aus der Bahn geworfen. Das Ungleichgewicht sucht einen
Ausgleich. Das Recht muss wieder hergestellt werden.
Denn Schuld bindet und Sünde auch. Wenn wir
ehrlich sind, dann sind wir durch Enttäuschung, durch die Kränkung oder was es
auch war UNFREI geworden. Und die Reaktion
auf die Verletzung treibt uns bisweilen in einen Zustand, den wir eigentlich
nicht wollen. Wir kennen das bei tiefen traumatischen Erlebnissen von Gewalt,
Vergewaltigung, Misshandlung, Vernachlässigung …
Entweder reagiert der Mensch aggressiv und
mit Gewalt nach außen oder, was viel häufiger ist, mit autoaggressiver Gewalt
nach innen: Die Folge sind Schlafstörungen, Selbstverletzungen, Konzentrations-
und Beziehungsstörungen, Sprachlosigkeit – tiefes Schweigen und die
verletzlichen Gefühle werden tief irgendwo ganz hinten in unserer Seele
versteckt.
Das Lebenskonzept ist dann oft ein sehr
nüchternes: „Ach hört mir doch auf mit dem ganzen Gefühlsquatsch. Träume sind
schäume. Mir hat auch keiner etwas geschenkt. Das ist halt so. Da muss man
durch. Da muss man sich halt zusammenreißen ….
Und weil die Last zu groß ist, suchen wir
nach Ersatzmitteln, nach einem Ausgleich. Und dann schlagen manche ihre Kinder,
weil sie selbst als Kinder geschlagen wurden und keiner sie damals beschützt
hat. Das erfahrene Unrecht wird zum Argument oder zur Begründung, um selbst
Unrecht zu tun. Oder sie zerstören oder bestrafen sich selbst. Und da gibt es
viele Wege.
Beobachten sie sich mal, zu welchem Typ sie
gehören. Doch das Unrecht ist dadurch nicht weg und die Verletzungen auch
nicht.
3.
Wiedergutmachung?
Doch wie komme ich zu einem Ausgleich, zur
Versöhnung, zur Heilung – oder bin ich für immer Opfer? Gefangener der Sünde,
die andere an mir begangen haben oder die ich begangen habe, an mir oder an
anderen.
Der zweite Schritt ist die Wiedergutmachung – doch das ist
ein sehr zweischneidiges Wort.
Sicherlich – juristisch Belastbares muss
vor´s Gericht. Und da ist Gott sei Dank vieles in den letzten Jahren und
Jahrzehnten passiert, so dass man das Unrecht auch benennen und anzeigen kann.
Und wie gut tut es, wenn man Recht bekommt.
Aber sind dadurch die Verletzungen, die
seelischen und psychischen Verletzungen schon wieder gut gemacht? Und wie ist
das bei Dingen, die rechtlich nicht relevant sind, aber trotzdem Unrecht waren
oder so erlebt wurden: Zurücksetzung, Ausgrenzung, … Wie kann da Zerbrochenes
wieder heil werden?
Wie kann man denn verletztes Vertrauen
wieder gut machen? Eine verlorene Kindheit kann man nicht nachholen. Die
verkorkste Biographie – ist die wieder gut gemacht durch die Bestrafung der Eltern
oder durch Geldzahlungen an Opfer. 10.000 Euro für ein getötetes Kind beim
Flugzeugattentat mit der Germanwingsmaschine letztes Jahr in Frankreich. Bringt
mir das wieder meinen inneren Frieden zurück? Oder Versöhnung, Heilung?
Der Lockführer, dem einer vor den Zug
springt und er die Bilder nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Der Polizist, der
jemanden versehentlich erschießt und dann seinen Dienst für immer quittiert.
Das Rad der Geschichte kann man nicht zurück
drehen und die Zeit kann man nicht anhalten. Verlorene Zeit kann man nicht
ersetzen und verlorene Menschen erst recht nicht. Und das „Wenn …“ und „Hätte
….“ Und „weil ….“ sind oft nutzlose Erklärungen und helfen nichts, wenn einen
das Elend wieder überfällt.
Muss das so bleiben? Bleibt das so? Muss das
Unverzeihliche auch unversöhnt bleiben?
Wie komme ich zu einem Zustand der Versöhnung,
der mich wieder frei aufatmen und frei handeln lässt? Ein Weg, auf dem das
Verletzte und Zerstörte in mir aufhört zu bluten und zu schmerzen und Heilung
beginnen kann – auch die Verletzungen, die ich mir selbst auferlegt und
zugefügt habe.
Und das ist wichtig, damit das
zerstörerische Feuer der Wut, des Hasses, der ewigen Rache nicht permanent
meine Wunde zum Eitern bringt.
4. Die
Kraft der Versöhnung Gottes
Wie gelingt die Wiedergutmachung, die ich
man nicht bezahlen noch sich erkaufen kann?
Wir haben für diese Zustände inzwischen
viele hilfreiche Angebote gefunden. Neben der Justiz gibt es Selbsthilfegruppen,
Psychotherapie und Traumtherapie, Psychopharmaka, Opfer-Täter-Ausgleich, bei
denen geholfen wird mit dem Erlebten zu leben – und die sind alle wichtig und
gut. Und das Gespräch mit dem Partner, mit Freunden, mit Vertrauen darf man
hier ja nicht als zu gering ansetzen.
Aber das Größte Angebot auf diesem Gebiet
empfinde ich immer noch dieses Wort Gottes an uns – das unser heutiger
Predigttext ist, weil es uns auf ein neues Fundament stellen möchte, uns
förmlich aus den alten Bezügen herausnimmt und uns dadurch eine neue Chance
gibt. Der Ausgleich ist schon geschaffen! Auch für uns. Wir sind nicht mehr
Opfer, sondern wir sind erlöst. Ein göttliches Geschenk gewissermaßen, das uns
hilft, es neu mit unserer Geschichte aufzunehmen:
2 Kor 5,17-21
17 Darum: Ist
jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe,
Neues ist geworden. 18 Aber das alles von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat
durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. 19 Denn Gott
war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre
Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. 20 So sind
wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten
wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! 21 Denn er
hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in
ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.
Als ob Gott wusste, wie sehr seine Kinder oft
leiden an ihrem Leben und ihrer Vergangenheit, setzt er sein Leben dagegen und
stellt sich uns zur Seite:
Ist jemand in Christus, so ist
er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.
Ich höre hier den grundlegenden Neuanfang
für uns, als ob Gott rufen würde: Mach dich nicht kaputt und lass dich nicht
kaputt machen. Du musst das Unrecht in
deinem Leben nicht verstecken und die verzehrende Glut des Unrechts nicht auf
ewig wach halten. Dir ist, dir wird Gerechtigkeit widerfahren. Öffne deine
Fäuste und lass das Feuer frei, das dich selbst verzehrt. Zeig mir deine Wundmale,
damit ich sie heile durch meine Wundmale.
Unsere Verletzungen, unsere Enttäuschungen nimmt Gott in sich auf, damit wir nicht mehr
darüber zugrunde gehen müssen. Das Verlorene wird in ihm für uns wieder Ganz, so dass wir neu leben können. Das Vergangene
ist dadurch nicht vergessen, aber es verliert zunehmen an Kraft und Herrschaft
über uns und wir werden wieder Herr im eigenen Haus.
18 Aber das
alles von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das
Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. 19 Denn Gott
war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre
Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.
Gott nimmt stellvertretend für uns die Last
unserer Vergangenheit auf sich und setzt uns neu und erneuert in unser Leben
zurück.
Der Preis dafür ist allerdings nicht
unerheblich: Die Hingabe an Gott, das Loslassen unseres Selbst, indem wir uns
selbst entsichern, weil wir am Ende sind. Aber im Abgeben dessen, was uns so
sehr bindet und wir uns womöglich selbst nicht verzeihen können, bekommen wir
unser Leben neu zurück – so Gottes Zusage.
Die Vergangenheit bleibt, aber sie ist ihrer
zerstörerischen Macht beraubt – auch
wenn ich es vielleicht noch nicht so leben kann. Aber es gilt bereits für
mich. Der Zustand des Paradieses bleibt uns zwar für immer verwehrt, aber aus
der Erneuerung durch Gottes Versöhnung kann unsere Biographie wieder heil
werden, können wir uns versöhnen oder versöhnt werden mit unserer eigenen
Geschichte. Die Wege sind danach können dann ganz unterschiedlich sein.
Manche bekommen daraus dann erst die Kraft,
über ihre Vergangenheit zu sprechen, das Unrecht zu benennen oder auch Anklage
zu erheben.
Manche bekommen daraus die Kraft, neu auf
den Weg der Versöhnung zu gehen, gewissermaßen über ihre eigenen Schatten
springend verzeihen zu können oder um Verzeihung zu bitten.
Billig
ist da gar nichts und verschwiegen wird auch nichts. Das Dunkle muss ans Licht.
Aber – gehalten in diesem freien Angebot Gottes – kann auf wundersame Weise das
Leben auch für uns neu beginnen. Das ist manchmal ein mühsamer Weg, aber
unendlich heilsam.
Und
deshalb gilt für uns – auch wenn wir es noch nicht vollständig ergriffen haben:
20 So sind
wir nun Botschafter an Christi statt und …. so bitten wir nun an Christi statt:
Lasst euch versöhnen mit Gott!
Amen